Extreme Wetterlagen, steigende Meeresspiegel, Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände. Die Klimakrise hat alle Merkmale eines Ereignisses, das uns traumatisiert. Sie ist die größte Gefahr für unsere Gesundheit in diesem Jahrhundert. Denn sie bringt nicht nur unsere Pollarkappen zum Schmelzen, sondern schadet unserem Leib und unserer Seele. Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns!
- Laut einer Insa-Umfrage fürchten 42 Prozent der Deutschen, dass der Klimawandel die Stabilität und Sicherheit der Welt gefährden könnte.
- „Klimaangst“ ist keine psychiatrische Diagnose, sondern eine natürliche Reaktion auf eine Bedrohung.
- Schon das tiefere Wissen um eine drohende Katastrophe kann Menschen emotional überfordern und lähmen.
Mehr als nur „Klimaangst“
Die Klimakrise beunruhig viele. Sie zerstört unsere Umwelt – unsere Welt. Während die unmittelbaren Folgen von Zerstörung und Extremwetter in Europa vergleichsweise wenige Menschen direkt betreffen, wird auch hier die Angst und Verzweiflung im Angesicht der Krise immer größer. Insbesondere Menschen, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen und die Dimension der drohenden Katastrophe erfassen können, sind davon betroffen.
Dr. Patrick Kennedy-Williams, klinischer Psychologe aus Oxford, wird immer häufiger von Wissenschaftler:innen um Hilfe gebeten. Er behandelt Menschen, die bei ihrer Arbeit größtenteils mit negativen Informationen und dramatischen Abwärtstrends konfrontiert sind. Das Gefühl der Hilfslosigkeit angesichts unzureichender Klimaschutzmaßnahmen verursacht Ängste, Burnout oder berufliche Lähmung.
Betroffen sind vor allem junge Leute
- 42 Prozent der Deutschen sorgen sich laut einer Insa-Umfrage, dass der Klimawandel die Stabilität und Sicherheit der Welt gefährdet.
- 80 Prozent der Menschen machen sich wegen der klimatischen Vorgänge Sorgen, so eine aktuellen Umfrage der EU.
- Und bei einer Umfrage unter 10.000 Menschen zwischen 16 und 25 Jahren aus zehn verschiedenen Ländern – darunter Frankreich, Nigeria, Finnland, Indien und die USA – sagten rund 45 Prozent, dass ihre Sorgen und Ängste bezüglich der Klimakatastrophe auch ihren Alltag beeinflussen.
- 60 Prozent gaben an, „sehr besorgt“ oder „extrem besorgt“ zu sein, 40 Prozent meinen, dass sie aufgrund des Klimawandels keine Kinder wollten. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen sorgt sich stark ums Klima.
Was ist Solastalgie?
Solastalgie bezeichnet den Schmerz um den klimabedingten Verlust unserer Heimat. Der australische Umweltphilosoph und Nachhaltigkeits-Professor Glenn Albrecht hat den Begriff erfunden. Solastalgie ist ein Gefühl, das entsteht, wenn Menschen die Zerstörung der eigenen Heimat direkt miterleben. Dazu mischt sich eine tiefe Trauer. Indigene Völker, wie die Inuit, schildern diese Gefühle besonders häufig. Durch das Schmelzen des Meereises ist ihre Lebensweise und damit ihre Identität bedroht. Auch Menschen, die durch Erdrutsche oder Kohletagebau der Zerstörung ihrer Heimat beiwohnen müssen, spüren Solastalgie. Ebenso die, die den gesamten Planeten als ihre Heimat begreifen und weiter entfernte Naturzerstörung über Berichte miterleben.
Extremwetter und psychische Belastung
Studien zeigen, dass Depressionen, Ängste, posttraumatische Belastungsstörungen und Suizidfälle zunehmen, wenn Menschen Extremwetterereignissen ausgesetzt sind. Diese Ereignisse werden häufiger und heftiger – auch in Europa.
Die psychischen Belastungen nach Überschwemmungen sind gut untersucht. Eine Schlüsselrolle spielt dabei nicht nur, wie tief etwa das Wasser stand, sondern auch, ob es Warnungen gab oder nicht. Finanzielle Nöte und Existenzängste oder die Trauer um den Verlust von Angehörigen müssen außerdem verarbeitet werden. Schätzungen zufolge werden 15.000 Menschen im Ahrtal in Folge der Flutkatastrophe psychiatrische Behandlung brauchen. Und die Zerstörung der Umwelt selbst, die Trauer über den Verlust der Heimat, das Gefühl der Hilflosigkeit wird noch lange sehr viele Menschen belasten.
”„Das Hirn ist das hitzeempfindlichste Organ des Menschen und durch die Klimakrise wird es immer schwerer „einen kühlen Kopf“ zu behalten. Allein 2018 gab es mehr als 20.000 Hitzetote in Deutschland.“
Eckart von Hirschhausen
Oder Hitze: Eine Untersuchung aus New York zeigte für den Zeitraum 2009 bis 2016 anhand von 2,8 Millionen Berichten aus Notaufnahmen, dass bei extremer Hitze die Einlieferungszahlen aufgrund von psychischen Störungen, wie Angstörungen oder Schizophrenie sowie aufgrund von Drogenmissbrauch zunahmen.
Migration, Konflikte und Gewalt: Die Klimakrise verstärkt die Ursachen psychischer Erkrankungen
Ganze Bergdörfer leben in der Angst, dass Teile ihrer Berge, die der Permafrost bislang im Inneren zusammenhielt, abbrechen könnten. Auf Dauer droht in weiten Teilen Andalusiens Wüstenbildung, viele Regionen auf der Erde werden schon bald unbewohnbar sein. Extreme Dürren wie in Kenia 2021, aber auch starke Überschwemmungen auf dem Afrikanischen Kontinent zeigen, dass dieses Szenario auf der Südhalbkugel schon längst Realität ist. Die Klimakrise ist schon jetzt eine Fluchtursache. Sie verschärft Konflikte um Ressourcen und zieht die typischen psychischen Verletzungen von Flucht, Vertreibung und Gewalt nach sich. Studien zeigen: Die Wahrscheinlichkeit von Konflikten nimmt sogar schon bei geringen Temperatursteigerungen oder nach heftigeren Regenfällen zu.
Was tun?
Besonders stark im Gedächtnis haften bleiben negative Infos. Das kann in eine Abwärtsspirale führen: Verzweiflung, Hilflosigkeit, Schuld, Zukunftsangst für sich und die eigenen Kinder. Diese Sorgen allein können krank machen, zu Depressionen oder Angststörungen führen. Die Psychologists for Future raten dazu, sich immer wieder gezielt positive Gegenbeispiele vor Augen zu führen, erfolgreiche Naturschutzprojekte etwa.
Aber auch, selbst aktiv zu werden, kann das Gefühl von Selbstwirksamkeit wieder verstärken. Ein gut belegter Lösungsansatz ist: mehr Zeit in der Natur zu verbringen.
Eine Analyse aus dem Jahr 2002 zeigte, dass nur zehn oder zwanzig Minuten täglich in der Natur Stress und andere psychische Belastungen verringern. Der Blutdruck sank, das Herz schlug ruhiger. Psychologisch verringerten sich Symptome von Depression, Angst und Erschöpfung. Die Teilnehmenden schöpften Kraft, Ruhe und entwickelten generell mehr positive Gefühle.
Ob nun auf medizinische Indikatoren zurückzuführen, oder angesichts der
Mammutaufgabe namens „Klimaschutz“ – die Klimakrise belastet zunehmend unsere Psyche. Neben der Inanspruchnahme von psychologischen Hilfsangeboten sollten wir alles daransetzen, unseren Planeten zu retten. Denn konsequenter Klimaschutz würde bedeuten, dass wir uns weniger Sorgen um die Zukunft machen müssten und den gegenwärtigen Moment wieder mehr genießen könnten.
Quellen
American Psychological Association and ecoAmerica, Bericht
https://www.apa.org/news/press/releases/mental-health-climate-change.pdf
Höhere Suizidrate durch steigende Temperaturen, Studie
Studie: Höhere Temperaturen erhöhen Suizdrate unter indischen Bauern
https://www.pnas.org/content/114/33/8746
Psychologists for Future
https://www.psychologistsforfuture.org/
Die Auswirkungen von Extremwettereignissen auf die mentale Gesundheit im Vereinigten Königreich
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33227944/
Hitze und mentale Gesundheit
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33799230/
Stefan Ruf, Klimapsychologie 2. Auflage 2021, Frankfurt am Main
Extreme Temperaturen und Notaufnahmen aufgrund psychischer Störungen
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34144243/
Artikel der Psychotherapeutin Charline Schmerber, die sich mit Umweltangst in Frankreich befasst:
https://www.spektrum.de/news/wie-die-klimakrise-die-psyche-belastet/1942627
Zusammenhang von hohen Temperaturen und Aggressionen:
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0065260100800040
Zusammenhang zwischen Klimaveränderung und Gewalt:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.1235367
Zusammenhang hoher Temperaturen und mentaler Gesundheit:
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412021001586
Untersuchung der EU: Europäer halten Klimawandel für größtes Problem unserer Zeit
Original-Artikel zum Begriff der Solastalgie
Internationale Umfrage unter jungen Leuten zu psychischer Belastung durch die Klimakrise
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3918955
Fotos und Grafik: GEGM
Toolbox
Herzlich willkommen im innersten Kern der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen: der Toolbox. Hier liefern wir Ihnen Tipps, Impulse und Werkzeuge, damit Sie ganz persönlich und konkret zum dringend notwendigen gesellschaftlichen Wandel beitragen können. Dafür müssen Sie keine Demo organisieren, keine Studie anfertigen und kein Millionenpublikum erreichen. Es bewirkt schon viel, wenn Sie in Ihrem ganz persönlichen Umfeld über den Klimawandel und die damit verbundenen Gesundheitsgefahren sprechen, diskutieren und andere überzeugen.
Um Sie dabei zu unterstützen, werden wir diese Toolbox immer weiter befüllen – mit Hintergrundinformationen, Argumentationshilfen, interessantem und lustigem Content zum Teilen, Erklärvideos, Tipps, Gastbeiträgen von Expert:innen und vielen weiteren Werkzeugen. Wir freuen uns, wenn Sie sie nutzen, teilen und weiterverbreiten!